Die Kirche der toten Mädchen
von Stephen Dobyns
Nach und nach verschwinden drei junge Mädchen in der kleinen Stadt Aurelius im Staate New York. Als das erste Mädchen verschwindet, richtet sich der Verdacht der Bewohner zunächst auf alle Außenseiter der Stadt. Als das zweite Mädchen auf die gleiche mysteriöse Weise verschwindet, nehmen Angst und Mißtrauen zu, verdächtigen sich Menschen, die seit jeher Nachbarn sind, gegenseitig. Als das dritte Mädchen verschwindet, spitzt sich die Atmosphäre alptraumhaft zu. Keiner der Bewohner bleibt verschont von den zerstörerischen Auswirkungen der Denunziationen und Verdächtigungen – weder der angesehene Chefredakteur der Regionalzeitung noch der prüde Apotheker. Auch nicht der Erzähler, ein Biologielehrer, weil er dabei beobachtet wird, wie er mit Mädchen aus der Nachbarschaft Plätzchen backt. Denn das ist allen klar: Der Perverse, der sie mit seinen Taten in Atem hält, das ist einer von ihnen …
Sicher kann man an diesem Buch einige Punkte zum Nörgeln finden – etwa den missratenen Versuch, das Ende im Prolog vorwegzunehmen oder die Person des Erzählers, die in der ersten Hälfte des Buches sich etwas zu störend in den Vordergrund drängt und oft ein wenig ins Philosophieren gerät. Auch hat man manchmal den Eindruck, der Autor versuche sich an einem Soziogramm einer amerikanischen Kleinstadt, so detailversessen sind die Personenaufzählungen und Beschreibungen. Andererseits macht dies gerade auch die Stärke des Buches aus. Dobyns zeichnet ein soziologisches und sozialpsychologisches Porträt einer (amerikanischen) Kleinstadt im Ausnahmezustand in bemerkenswerter atmosphäricher Dichte. Die ausführlichen Beschreibungen der Personen und ihrer Beziehungen werden immer wieder mit dosierter Gewalt aufgebrochen, die mit teils brutaler Wucht in den Alltag einbricht. Auf diese Weise funktioniert das Buch hervorragend als Beschreibung einer Atmosphäre der Bedrohung – wenn man auch nicht von einer atemberaubenden Spannung sprechen kann, kommt doch an keiner Stelle Langeweile auf. Was dem Autor in jedem Fall zugute zu halten ist, ist, dass dieser Roman – wie jeder herausragende Krimi – über die Schilderung der Verbrechen weit hinaus geht. Auch die Erklärung der Verbrechen in der Person des Täters kann überzeugen – was man keinesfalls bei allen Serienmördergestalten der amerikanischen Kriminalliteratur behaupten kann.
Alles in allem atmosphärisch dicht, aber trotzdem spannend und lesenswert.