Die Kelten und deren Mythologien
Die Keltische Mythologie bedient sich recht großzügiger Zeiträume. Aufgrund der breiten Verteilung der keltischen Stämme über ganz Europa, bildeten sich auch viele lokale Gottheiten und Traditionen heraus, so dass ein einheitliches Bild kaum zu zeichnen ist. Da es eine politische oder kulturelle Einheit der Kelten nicht gab, weist die keltische Mythologie ebenfalls keine Einheit auf, sondern ist regional unterschiedlich ausgebildet.
Die bisher aufgefundene Überlieferung ist bruchstückhaft, da es in der keltischen Frühzeit lediglich eine mündliche Tradierung gab. Ein schriftliches Festhalten der überlieferten Mythen war üblicherweise im Kreis des Kultpersonals (Druiden, Druidinnen, Vates, Filid) verpönt, da dieses Wissen nur ihren Adepten zugängig gemacht werden sollte. Im keltischen Siedlungsgebiet fand man 374 Namen von Göttinnen und Göttern, die größtenteils regionale Bedeutung hatten; nur ungefähr 20 Namen tauchen in allen Regionen häufiger auf.
Die Kelten besaßen eine sehr tiefe Religiosität, und ihre Götter waren äußerst lebendige Gestalten, die eine entscheidende Rolle in ihrem Leben spielten. Ihr Charakter war insgesamt kraftvoll, kämpferisch, äußerst kunstfertig und wandlungsfähig. Die selten geradlinige, vielmehr zyklische Erzählweise und das Ineinandergreifen von diesseitigen und jenseitigen Welten sind typische Merkmale keltischer Mythologie. Mythen und Sagen, Gedichte und Gesänge wurden bei den Kelten vor allem mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. So sind die Aufzeichnungen der irischen Mönche im Zuge der Christianisierung aus dem 7. Jahrhundert die frühesten schriftlichen Zeugnisse, der keltischen Glaubens- u. Sagenwelt.
Die Keltischen Völker, die von den Griechen Keltoi oder Galatei und später von den Römern Gallier genannt wurden, erschienen bereits um 700 v. Chr. auf dem Schauplatz der Geschichte. Sie brachten es bis zur endgültigen Eroberung Galliens durch Cäsar zu hoher Kultureller Blüte und prägten sehr wesentlich die mittel- und westeuropäische Geschichte. Das Siedlungsgebiet der Kelten erstreckte sich von den Atlantikküsten über Gebiete an der Garonne, Loire, Maas und Mosel bis hin zu den Karpaten, von Irland und England bis zur Türkei, wobei auch Teile Spaniens und Oberitaliens keltisch waren. Später wurden die Kelten von den Römern beherrscht, nur jenseits des Kanals und in der heutigen Bretagne blieben die Keltische Kultur und Sprache weitgehend unverfälscht.
Tuatha De Danann
Die überlieferten Zeugnisse der keltischen Mythologie von den irischen Mönche beginnen mit den Tuatha De Danann, dem sagenhaften Volk der Göttin Dana. Es heißt, dass dieses Volk auf den Inseln ganz im Norden der Welt lebte. Am Montag nach Beltane (1.Mai) kamen sie in Irland an. Dort verbrannten sie am Strand all ihre Schiffe, so dass der Rauch die Sonne drei Tage verdunkelte. Mitgebracht hatten sie vier Gegenstände, die bis heute in fast allen magischen Traditionen wieder zu finden sind. Zu diesen heiligen keltischen Insignien gehören:
Das Schwert der Weisheit von Nuada (aus Findias)
Die flammende Lanze von Lug (aus Gorias)
Den Stein von Fál (gäl. Lia Fáil), der irische Königsstein
Den Kessel des Dagda (aus Murias)
Das Volk der Tuatha De Danann brachte aber nicht nur die heiligen Insignien mit, sondern auch eine ganze Reihe von Handwerkskünsten, technisches Wissen und vor allem das Druidentum. Später wurden die Tuatha De Danann von anderen Invasoren besiegt und zogen sich in die Feenhügel, zurück, wo sie der Legende nach bis heute leben. Diese Hügel sind die Tore zur Anderswelt.
Heiligtümer
Sowenig die Kelten schriftliche Zeugnisse ihrer Kultur hinterlassen haben, sowenig haben sie auch Abbilder ihrer Götter hergestellt, und auch feste Tempel errichteten sie nur selten. Als überaus naturnahe Menschen führten sie ihre heiligen Handlungen größtenteils im Freien durch. Waldlichtungen, Berggipfel oder Inseln boten ihnen die Möglichkeit, sich mit den Göttern in Verbindung zu setzen. Erst nachdem die Kelten mit den Griechen und Römern in Kontakt gekommen waren, über nahmen sie die Gepflogenheit, Figuren ihrer Götter herzustellen und kleine Heiligtümer zu errichten.
Heilige Haine / Nemetons
Die Kelten glaubten, dass man die Götter nicht an einem Ort festhalten könne, sondern dass sich deren Welt an bestimmten Plätzen für die Menschen öffne. Von den Heiligen Hainen (s. Baumkult) ist nicht mehr übrig geblieben als die Erinnerung. Forscher kennen nur die relativ spärlichen Hinweise der klassischen Berichterstatter, die schildern, wie sich die Druiden in den Wäldern trafen, um die herliefen Riten zu vollziehen. Ortsnamen, die von dem Begriff “Nemeton” (= ‘Heiligtum’) abgeleitet sind, findet man in ganz Europa: von Britannien über Spanien bis zum Balkan. Zudem haben sich aus der spätkeltischen Zeit mehrere ausgebaute Matronenheiligtümer erhalten.
Heilige Quellen
Etwas besser zu rekonstruieren als die Baumheiligtümer ist die keltische Verehrung von Quellen, Brunnen, Seen und Flüssen, wenngleich auch dort keine Bauwerke errichtet wurden. Aber man fand eine Unzahl von Votivgaben, die in den Gewässern versenkt wurden. Manchmal waren es Münzen und kleine Figürchen, aber auch Waffen, ganze Streitwagen und Goldschmuck hat man geborgen. Dem reinen Quellwasser haben die Kelten Heilkräfte zugesprochen und Abbildungen der erkrankten Gliedmaßen oder Organe dort versenkt. Einige der Quellen haben noch heute nachgewiesenermaßen Heilkräfte. Aus zahlreichen Mythen kann ebenfalls der Glaube der Kelten an Hüterinnen der Gewässer abgeleitet werden: Göttinnen oder Feen lebten an den Quellen und reichten dem durstigen Wanderer Kelche mit Leben spendendem Wasser (vgl. Quellenkult).
Als im 5. Jhdt. in Irland die Christianisierung einsetzt, zeichnen Mönche die Keltischen Sagen auf, wodurch uns viele bis in die heutige Zeit erhalten bleiben und einen Einblick in die Kultur und das Alltagsleben der Kelten gewähren.
Im Hochmittelalter griffen fahrende Sänger – in der Provence die Troubadours, in Nordfrankreich die Trouveres, in Deutschland die Minnesänger – keltische Sagen- und Mythenstoffe auf und transferierten die Themen in ihre Welt. Typisch dafür sind zum Beispiel die Geschichten um König Artus und seine Tafelrunde, von Parzival und der Gralssuche, vom Zauberer Merlin und von Tristan und Isolde.
All diese Sagen haben bis heute ihren Reiz nicht verloren. Hart und brutal ist die Welt der Kelten, aber auch humorvoll geprägt und vom Schein des Mysteriösen und des Anderweltlichen umgeben. Ist uns diese Welt auch weitgehend fremd in ihrem Daseinskampf und ihren spirituellen Vorstellungen, hat sie doch unsere Welt entscheidend mitgeprägt und sie um viele Mythen und Geschichten bereichert, ohne die die Welt unserer Phantasie um vieles ärmer wäre.
Steinkult der Kelten
Auch um die neolithischen Steinsetzungen — Menhire, Dolmen, Steinkreise und -alleen ranken sich viele keltische Mythen, wie z.B. um ihre Funktion als Eingänge zur Anderswelt. Allerdings haben diese Megalithsteine nichts mit den Kelten zu tun. Auch Stonehenge nicht. Diese Steinsetzungen wurden von den Völkern errichtet, die lange vor den Kelten das Land besiedelten
Andererseits kann man nicht ausschließen, dass die einwandernden Keltenstämme durchaus von den Ureinwohnern die Geheimnisse der neolithischen Bauten erfahren und sie zu ihren Zwecken mitbenutzt haben (s. Steinkult der Kelten). Nicht alle Neubesiedlungen erfolgten kriegerisch und bedeuteten automatisch die Auslöschung ganzer Kulturen. Vermutlich haben die alten Völker und die neu zugewanderten Kelten geraume Zeit nebeneinander gelebt, sich wohl auch miteinander vermischt und voneinander gelernt. Die Überreste der uralten Steinzeitkultur unterliegen vielen Spekulationen, sowohl wissenschaftlichen wie auch esoterischen.
Eine schlichte Geschichtsfälschung betrieb Geoffrey of Monmouth, als er in seiner “Geschichte der britischen Könige” behauptete, der Druide Merlin habe den Steinkreis von Stonehenge errichtet. Diese uralten Kultstätten sind von einem noch immer nicht gelüfteten Geheimnis umgeben, das die Druiden vielleicht gekannt haben. In Verruf sind sie allerdings weitgehend erst im Zuge der Christianisierung geraten, in einer Zeit, als die Missionare jegliche Form der Religion, der Kulte oder des Glaubens anderer mit dem Bösen in Verbindung brachten und hierzu tief in die Kiste der Angst machenden Horrorvorstellungen griffen, um den Besuch heidnischer Heiligtümer zu unterbinden.
Der Kopfkult
Gruselig mag erscheinen, dass die Kelten eine besondere Vorliebe für das Kopfabschlagen hegten: Den Gefallenen trennte man den Kopf ab und nahm ihn mit nach Hause. Dort zierte er dann das Anwesen oder wurde zu einem Trinkgefäß umgearbeitet. Dieser Kopfkult ist bestens belegt durch archäologische Funde, klassische Autoren und die Mythologie. Was in unserer Zivilisation undenkbar erscheint, ist aber nicht ein Akt blindwütiger Grausamkeit gewesen, sondern entsprang — so wunderlich es anmuten mag – einer tiefen Achtung gegenüber dem Gegner.
Der Kopf wurde von den Kelten als Sitz der Seele angesehen, das Denken als göttliche Eingebung im Gehirn. Der Kopf eines tapferen Gegners wurde geehrt, nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Dafür spricht auch, dass manche Köpfe mit Zedernöl einbalsamiert oder in Stelen in Tempeln beigesetzt wurden. Ein wunderbares Beispiel ist die Kultstätte in Roquepertuse, wo in einer Höhle in eigens dafür vorgesehenen Nischen die Schädel ruhen.