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- Meine Reise zum Ich

Deutsche Geschichte und die Identität der Deutschen

Deutsche Geschichte und die Identität der Deutschen

Ansprache von Bundespräsident Richard von Weizsäcker auf dem 21. Deutschen Evangelischen Kirchentag Juni 1985:
(Auszug)

 

Ich gehöre zu einem Volk, dem deutschen Volk. Welche Merkmale haben wir Deutschen als Volk? Was macht es aus, dazuzugehören? Was unterscheidet uns Deutsche von anderen Völkern?

Sodann aber – und das ist die zweite Frage – bin ich ein Mensch. Was hat die Tatsache, ein Deutscher zu sein, mit meiner eigenen Identität als Mensch zu tun? Viel oder wenig? Ist sie mir ziemlich gleichgültig? Fordert sie mich heraus? Prägt sie mein Bewusstsein? Stellt sie mich vor verantwortliche Aufgaben, gerade als Deutscher vor Aufgaben, die ich sonst nicht hätte? Wenn ja, vor welche?

Fallen die Antworten darauf unterschiedlich aus, je nachdem ob ich alt oder jung bin, ob ich evangelisch oder katholisch bin, ob ich in der DDR oder in der Bundesrepublik Deutschland lebe?

Vorsorglich möchte ich warnen: Es handelt sich um ein schwieriges Thema! Keine Antwort auf solche Fragen wird sich für eine Balkenüberschrift eignen.

Bitte machen Sie sich bei meinem Referat nicht auf Aussagen gefasst, die Sie zu stürmischem Widerspruch oder Zuspruch reizen. Es gibt keine einfachen, keine allgemein verbindlichen und keine unveränderliche Antworten.

Identität – das ist zunächst die Frage danach, wie man sich selbst versteht. Es ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Jeder hat seine eigenen Erlebnisse und Schwerpunkte. Davor gilt es, Respekt zu haben und sich gegenseitig nichts aufzuzwingen.

Mit Resolutionen können wir nicht auf Kirchentagen und auch nicht in Parlamenten über die Lebensgefühle verfügen, die die Identität ausmachen. Identität ist aber auch die Frage, wie man für andere verständlich ist, ob und wie uns unsere Mitmenschen und Nachbarn verstehen können. Eine Frage also nach unserer Fähigkeit zum Zusammenleben mit anderen Völkern. Und es gibt solche Erwartungen der Nachbarn an uns.

Daher ist es schon wichtig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Was ist das eigentlich – deutsch?

Zunächst ist es ein naturgegebener Sachverhalt, deutsch zu sein. Es ist die Folge der Tatsache, hier geboren und aufgewachsen zu sein, die deutsche Sprache zu sprechen, sich hier zu Hause zu fühlen und damit ein Teil des eigenen Volkes zu sein. Ich bin ein Deutscher, wie ein Franzose ein Franzose, ein Russe ein Russe ist. Das ist weder ein Mangel noch ein Verdienst. Ich habe es mir nicht ausgesucht, genauso wenig wie die Zeit, in der ich lebe und die mich prägt: ausgehendes 20. Jahrhundert.

Es gibt eine starke Überlieferung, die mich als Deutschen durchdringt, ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. Die Überlieferung des Glaubens und der Kultur in Deutschland, der sozialen Entwicklung und der politischen Vergangenheit haben auch meine Existenz mitbestimmt. Damit muss ich mich auseinandersetzen, denn willenlos ausgeliefert bin ich ihr nicht.

Der Mensch kann den Überlieferungen eine neue Richtung geben, er kann seine Zeit beeinflussen. Dafür ist er frei, dafür ist er verantwortlich. Alle menschliche Geschichte ist Wandel, Veränderung. Geschichte selbst ist der wichtigste Beleg menschlicher Freiheit, den wir haben.

Mein Deutschsein ist also kein unentrinnbares Schicksal, sondern eine Aufgabe. Wir sind mitverantwortlich, unserem Deutschsein einen Inhalt zu geben, mit dem wir uns und unseren Nachbarn verständlich sind und in dem wir uns selbst zu Hause fühlen, unseren Nachbarn erträglich und willkommen sind und vor unseren Nachkommen bestehen können. Also: Was ist das eigentlich – deutsch?

Fragen wir danach, was es geographisch, politisch und kulturell umfasst, so fällt eine objektiv gültige Antwort schwer. Dies ist eine Folge unserer bewegten Geschichte, besonders im Hinblick auf unsere Grenzen. Wer in einem historischen Atlas blättert, findet beinahe auf jeder Seite ein anderes politisches Gebilde. Das liegt an unserer Lage in der Mitte des Kontinents. Niemand hat so viele Nachbarn wie wir. Sie alle haben ständig Einfluss auf die politische Struktur Zentraleuropas gesucht.

Die deutsche Geschichte hat noch nie den Deutschen allein gehört. Mehr als andere haben wir erfahren, dass Geschichte Wandel ist. Auf die Frage nach der politischen Gestalt der europäischen Mitte hat es bisher noch nie eine endgültige Antwort der Geschichte gegeben. Auch die heutige Gestalt dürfte nicht das letzte Wort der Geschichte sein…..

Die vollständige Rede findet Ihr hier:

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